In 20 Stunden ans andere Ende der Welt

In 20 Stunden ans andere Ende der Welt

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte verlegte die Luftwaffe einen Verbund aus Kampf-, Tank- und Transportflugzeugen in den indopazifischen Raum. Sie setzte sich hierfür selbst die ambitionierte Zeitgrenze von 24 Stunden. Nie zuvor hatte es sowas seit Bestehen der Bundeswehr gegeben.

Nie zuvor verlegte die Luftwaffe mit einem Verbund aus unterschiedlichen Luftfahrzeugen in die indopazifische Region (Foto: Bundeswehr/Christian Timmig)

Major Holger schaut gespannt auf sein Handy. Jeden Moment müsste die Meldung aus dem bayerischen Neuburg kommen. Die Nachricht, die den Beginn der größten Mission der Luftwaffe aller Zeiten bestätigt – der Start der sechs Eurofighter in Neuburg an der Donau mit Kurs auf Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Dort wartet der junge Kampfpilot bereits auf seine Kameraden. Seine Aufgabe ist es, den „Air Ambassador“ nach Singapur zu fliegen. Der sonderfolierte Eurofighter ist mit den Flaggen der Nationen geschmückt, die während der Operation „Rapid Pacific 2022“ besucht werden. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Major noch nicht, dass sich sein Einsatz verzögern wird.

Der Air Ambassador ist das Herzstück der deutschen Eurofighter-Flotte. Er ist mit den Flaggen der Nationen verziert, die während „Rapid Pacific 2022“ besucht werden. (Foto: Bundeswehr/Christian Timmig)

Die Bezeichnung „Rapid Pacific 2022“ könnte nicht passender sein. Die Luftwaffe setzte sich bereits vor Monaten das Ziel, den indopazifischen Raum in nur 24 Stunden zu erreichen. Innerhalb eines Tages soll in Singapur gelandet werden. Nicht mit bequemen Passagierflugzeugen oder Langstrecken-Ferienfliegern, sondern mit Kampfjets, die ständig in der Luft betankt werden müssen. Es ist nicht bekannt, dass so etwas jemals eine Luftwaffe versucht, geschweige denn geschafft hat. „Ja, das Ziel ist ambitioniert, aber eine einsatzbereite Luftwaffe muss das auch können“, erklärte Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, im Vorfeld.

Rapid Pacific basiert auf politischen Leitlinien

Ende 2020 veröffentlichte die damalige Bundesregierung die Leitlinien für den Indopazifik. Die Region hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Deutschland möchte sein Engagement in diesem Teil der Welt verstärken und die Partnerschaften mit verbündeten Nationen wie Japan, Singapur, Südkorea und Australien weiter ausbauen.

Bundeskanzler Olaf Scholz unterstrich während seines Besuches in Japan die Bedeutung der indopazifischen Region (Foto: Bundesregierung/Bergmann)

Im letzten Jahr machte die Fregatte Bayern mit ihrem Besuch im Indopazifik den sicherheitspolitischen Anfang. Im vergangenen April besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Amtskollegen Fumio Kishida in Japan. Im gemeinsamen Pressestatement bestätigte Scholz die Ambitionen: „Meine Reise ist ein klares politisches Signal, dass Deutschland und die Europäische Union ihr Engagement in der Indopazifik-Region fortsetzen und intensivieren werden“.

Die Luftwaffe lässt diesen wichtigen Worten nun Taten folgen. Japan ist eines der Länder, die während „Rapid Pacific 2022“ besucht werden. Generalleutnant und Pilot Ingo Gerhartz wird persönlich einen Eurofighter Ende September von Singapur nach Japan fliegen, um dem Land der aufgehenden Sonne Respekt zu zollen und die Partnerschaft beider Länder auch auf eine militärische Ebene zu heben.

Air Ambassador muss zurückbleiben

Doch zunächst zurück nach Abu Dhabi. Major Holger macht sich bereit, auf der Al Dhafra Luftwaffenbasis einen seiner Kameraden im Cockpit abzulösen und weitere knappe acht Stunden nach Singapur zu fliegen.

„Rapid Pacific ist für mich die erste große Gelegenheit, Überführungsflüge durchzuführen, die über Kontinente hinweggehen. Das heißt, ich fliege das erste Mal über Ozeane und werde mehr als sieben Stunden in der Luft sein“, sagt der Major mit einem Funkeln in den Augen, das ihm seine Anspannung, aber noch mehr seine Freude auf die kommende Aufgabe anmerken lässt.

In Abu Dhabi werden während der Verlegung die Crews gewechselt (Foto: Bundeswehr/Jane Schmidt)

Wenige Stunden später ist es soweit. Die Jets, die von den drei A330-Tankflugzeugen der Multinational Multi Role Tanker Transport Unit (MMU) auf der ganzen Strecke begleitet und betankt werden, sind im Anflug. Holger soll den „Air Ambassador“ übernehmen. Aber ausgerechnet der mit den Flaggen der zu besuchenden Nationen geschmückte Eurofighter macht nach den über sieben Stunden Dauerflug Probleme. Die Hydraulik zeigt eine Fehlermeldung. Fieberhaft versuchen die Techniker, das Problem in den Griff zu bekommen. Sie wissen, dass die Zeit läuft. Noch rund 15 Stunden zeigt der Countdown auf der offiziellen Bundeswehrwebseite an.

Dann die Entscheidung. Das Risiko ist zu groß. Sicherheit geht immer vor. Der Eurofighter fliegt nicht weiter. Kurz bleibt der Kopf von Major Holger hängen. Aber die Mission geht weiter. Die anderen fünf Eurofighter sind klar und „Ready for departure“. „Natürlich wäre ich gerne mit den anderen zusammen geflogen. Aber ganz ehrlich, da kann man nix machen. Sicherheit geht eben vor. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben!“

Fünf Eurofighter fliegen weiter

Mit neuer und ausgeruhter Besatzung geht es weiter. Nächster Stopp ist Singapur. Die Luftwaffe liegt gut in der Zeit. Wenn jetzt nichts Außerplanmäßiges passiert, erfüllen die Frauen und Männer mit den Schwingen auf den Schulterklappen ihre selbst auferlegte Mission. Und es kommt wie erhofft. Trotz fliegerischer Herausforderungen, was das Wetter in der Monsunregion angeht, landen alle verbliebenen fünf Eurofighter auf der Paya Lebar Air Base in Singapur. Die Zeit wird nach 20 Stunden, 22 Minuten und drei Sekunden gestoppt. Fast vier Stunden vor Ablauf der 24 Stunden hat die Luftwaffe ihr historisches Ziel erreicht – Innerhalb eines Tages am anderen Ende der Welt zu sein.

Nach 20 Stunden, 22 Minuten und drei Sekunden stoppte landen die Eurofighter auf der Luftwaffenbasis in Singapur. Dann stoppte auch der Countdown auf der Bundeswehr-Webseite. (Bundeswehr/PIZ Lw)

Die Freude ist allen ins Gesicht geschrieben. Besonders Oberst Gordon Schnitger, Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 und Kontingentführer bei „Rapid Pacific 2022“, gebührt Anerkennung. Er führt die Frauen und Männer aus Neuburg an. Unter seinem Kommando hat das bayerische Geschwader fast zwei Jahre diesen Augenblick vorbereitet. „Es war ein erleichternder Moment, als wir die Eurofighter im Anflug sehen konnten. In diesem Moment waren wir sicher, dass sich diese lange Vorarbeit und das viele Reagieren auf ungeplante Situationen gelohnt haben. Insgesamt bin ich unheimlich stolz auf jede und jeden, die zu diesem einzigartigen Vorhaben ihren Beitrag geleistet haben“, sagt ein sichtlich stolzer Schnitger.

Oberst Gordon Schnitger meldet Generalleutnant Ingo Gerhartz die erfolgreiche Verlegung der Eurofighter in den indopazifischen Raum (Foto: Bundeswehr/Francis Hildemann)

Das erste Ziel von Rapid Pacific ist erreicht. Die Luftwaffe kann innerhalb eines Tages überall auf der Welt eingesetzt werden. Nun wird ein Tag durchgeatmet und dann richtet sich der Blick noch weiter südlich auf der unteren Erdhalbkugel. Der Fokus liegt nun auf dem Weiterflug nach Darwin im australischen nördlichen Territorium.

Reparaturmannschaft startet aus Neuburg parallel

Ein weiterer A400M mit einem Reparaturteam startet in Neuburg, um den Air Ambassador in Abu Dhabi zu reparieren (Foto: Luftwaffe)

Parallel haben 23 Frauen und Männer der Technik in Deutschland einen Sonderauftrag. Sie machen sich mit den benötigten Ersatzteilen in einem weiteren A400M aus Neuburg an der Donau auf den Weg nach Abu Dhabi. Der „Air Ambassador“ musst schnellstmöglich wieder einsatzbereit gemacht werden. Spätestens zur internationalen Luftwaffenübung „Pitch Black“ im australischen Darwin soll der Eurofighter mit der Kennung 31+11 wieder zur Flotte dazustoßen. Auch das gehört zu einer so großen Verlegung dazu – auf Situationen zu reagieren, die nicht vorhersehbar sind. Das weiß auch Generalleutnant Ingo Gerhartz. „Es gibt im Grunde keine Verlegung, die immer genau so verläuft wie sie geplant wurde. Das ist auch nicht weiter schlimm. Jetzt geht es darum, darauf zu reagieren und den Jet schnell wieder einsatzbereit zu machen. Wir brauchen ihn in Australien“. Major Holger steht bereit. Allein steuert er nach erfolgreicher Reparatur den Air Ambassador wieder nach Singapur. Dort übernimmt ein anderer Pilot die letzte Teilstrecke nach Darwin, damit die Ruhezeiten eingehalten werden können.

Der Air Ambassador ist rechtzeitig am Tag vor Übungsbeginn Pitch Black 2022 im australischen Darwin eingetroffen (Foto: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Damit ist die deutsche Luftwaffe als einzige europäische Luftstreitkraft mit der kompletten entsendeten Flotte pünktlich zu Übungsbeginn in Australien angekommen und trotz aller Umstände vollständig einsatzbereit.

Pitch Black weltweit einzigartig

Mit sechs Eurofightern nimmt die Luftwaffe an „Pitch Black 2022“ in Australien teil (Foto: Bundeswehr/Jane Schmidt)

In „Down Under“ bestimmen die zwei Worte Pitch Black“ die nächsten Wochen den Arbeitsalltag der deutschen Soldaten. Doch im Gegensatz zum gleichnamigen Hollywoodstreifen aus dem Jahr 2000 mit Vin Diesel in der Hauptrolle werden keine lichtempfindlichen, im toten Winkel blinde Ungeheuer bekämpft, sondern es werden hochkomplexe Luftoperationen mit 16 weiteren teilnehmenden Nationen trainiert.
Alle zwei Jahre veranstaltet die Australische Luftwaffe die Übung, die zu den modernsten Luftkampftrainings weltweit zählt. Über 2.500 Soldatinnen und Soldaten mit rund 100 Kampfflugzeugen aller Generationen sind mit von der Partie und geben „Pitch Black“ damit ein nie dagewesenes Ausmaß.

Die multinationale Luftwaffenübung Pitch Black ist dieses Jahr so groß wie nie zuvor. Rund 2.500 Soldatinnen und etwa 100 Kampfflugzeuge nehmen teil. (Foto: Bundeswehr/Jane Schmidt)

Auch Holger wird sich mit seinen internationalen Kameraden in der Luft messen. Bei Pitch Black nehmen viele Nationen außerhalb der NATO teil. Das ist für das taktische Training enorm wertvoll. Denn im Gegensatz zu den eingespielten NATO-Mitgliedern nutzen Länder außerhalb des nordatlantischen Bündnisses wie zum Beispiel Australien, Japan und Singapur andere Verfahren. Das erlaubt es allen Teilnehmern, die eigenen Abläufe zu hinterfragen und somit zu perfektionieren. Darüber hinaus bietet Australien bei Pitch Black ein Übungsgebiet, das seines Gleichen sucht. Nirgendwo sonst steht der Deutschen Luftwaffe ein so großer Luftraum zur Verfügung. Darin können bis zu 100 Flugzeuge gleichzeitig mit- und gegeneinander kämpfen. So ein Training ist natürlich von unschätzbarem Wert.

Nicht entweder oder – sondern sowohl als auch

Rapid Pacific 2022 erlangt in deutschen und internationalen Medien große Aufmerksamkeit. (Foto: Bundeswehr/Hildemann)

Auch in den deutschen und internationalen Medien ist „Rapid Pacific 2022“ ein viel diskutiertes Thema. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die europäische Wahrnehmung in Bezug auf Sicherheit und Bedrohung geändert. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in seiner wohl bekanntesten Rede im Deutschen Bundestag gar von einer Zeitenwende. Viele Stimmen werfen die Frage auf, ob es ein Engagement im Indopazifik ausgerechnet zur jetzigen Zeit bedürfe. Diese beantwortet der Chef der Deutschen Luftwaffe kurz vor Missionsbeginn in Berlin selbst. „Wir planen dieses außergewöhnliche Vorhaben seit fast zwei Jahren – weit vor Putins Angriffskrieg. Mir ist es besonders wichtig klarzustellen, dass wir unsere Verpflichtungen in der Heimat wie auch mit unseren Partnern an der NATO-Ostflanke gleichzeitig mit Rapid Pacific erfüllen. Beispielsweise nehmen wir im Baltikum erneut die Führungsposition im Rahmen der Verstärkung Air Policing wahr. Für uns heißt es: sowohl als auch und nicht entweder oder.“
Außerdem stellt der ranghöchste Soldat der Luftwaffe klar, dass „Rapid Pacific 2022“ keine Provokation gegenüber China sei, sondern ein klares Zeichen für die Wertpartner in der Region. „Wir senden kein Signal gegen jemanden, sondern für unsere Werteverbündeten. Wir fliegen komplett unbewaffnet auf internationalen Luftverkehrsstrecken.“

Nach der Luftkampfübung „Pitch Black“ werden die Soldaten der Luftwaffe noch zwei weitere Wochen in Australien bleiben, um mit der australischen Marine an der Seekriegsübung „KAKADU“ teilzunehmen.
Erst dann wird der Kontinent der Koalas und Kängurus wieder verlassen. In Singapur werden die Singapore Air Force und die Deutsche Luftwaffe binationale Missionen trainieren, während gleichzeitig drei Eurofighter Japan besuchen werden. In einem von ihnen, dem Air Ambassador, wird Gerhartz selber sitzen und am berühmten Fujiyama vorbei fliegen. Auch Major Holger wird in Japan gebraucht. Er wird dort einen Eurofighter übernehmen und ihn nach dem Besuch zurück nach Singapur fliegen.

Rapid Pacific 2022 ist das größte und aufwendigste Projekt, dass die Deutsche Luftwaffe jemals durchgeführt hat (Foto: Bundeswehr)

Anfang Oktober endet nach fast acht Wochen „Rapid Pacific 2022“ und damit schließt das Kapitel der größten Verlegung der Geschichte der Luftwaffe.

Autor: Y-Magazin/Stephan Jeglinski

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